Rede im Plenum zum Thema "Erhaltung und Sanierung von Ortsmitten"

Veröffentlicht am 20.04.2023 in Landespolitik

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Sehr geehrte Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

eine lebendige Ortsmitte, ein lebenswertes Dorf für alle Generationen, eine Innenstadt, in der man sich gerne aufhält – das sind Kommunen, wie wir sie uns wünschen und in denen die Menschen gerne leben. 
Leider sieht die Realität nicht überall so aus, auch wenn die Antwort der Landesregierung auf diesen Antrag sehr ausführlich darstellt, was ihrer Meinung nach alles gut läuft, wir haben es eben gehört.
Erlauben Sie mir daher, auf den einen oder anderen Missstand hinzuweisen, auf den die Landesregierung unserer Meinung nach mit ihren Programmen keine ausreichende Antwort gibt. 
Als ehemaliger Immobilienfachwirt mit 30-jähriger Berufspraxis bei der Sparkasse erlaube ich mir, einen Blick aus der Praxis in dieses Hohe Haus zu bringen. 
 

Wohnraum in dörflichen Ortsmitten 
Wir haben in Baden-Württemberg einen eklatanten Mangel an Wohnraum - vermehrt auch im ländlichen Raum, auch wenn er in den Ballungszentren präsenter erscheint. 
Mangel an Wohnraum finden wir dort, wo es ihn vor einigen Jahren noch nicht gab: ganz im Norden des Landes in Freudenberg, in Wüstenrot in meinem Wahlkreis, im Hohenlohischen und auch im Wahlkreis der Ministerin Razavi – um nur einige Beispiele zu nennen. 
Diesem Mangel muss entschieden und schnell ein Ende gesetzt werden, denn: Das Thema Wohnen ist eine der drängendsten sozialen Frage unserer Zeit. Das scheint mittlerweile auch auf der Regierungsbank angekommen zu sein…

Mangel an Wohnraum entsteht nicht nur durch fehlende Wohnungen, sondern auch dadurch, dass Menschen in Häusern oder Wohnungen leben, die für ihre Lebenssituation eigentlich ungeeignet sind.
Wir wissen alle: Wer über viele Jahre und Jahrzehnte im oftmals selbst gebauten, oder jedenfalls selbst erworbenen, und gut gepflegten Eigenheim lebt, der möchte im Alter eigentlich auch dort wohnen bleiben. 
Gleichzeitig ist das Einfamilienhaus, das vor vierzig Jahren gebaut wurde, in aller Regel nicht barrierefrei, ja nicht einmal barrierearm und fürs Wohnen im Alter oft ungeeignet. Das Treppensteigen wird mit zunehmendem Alter anstrengender, die Sturzgefahr erhöht sich und der Platz, der früher vielleicht zu viert oder zu fünft bewohnt wurde, wird im Alter zu zweit oder allein zur Belastung, weil er sauber gehalten und beheizt werden muss

Und hier kommen die Ortsmitten ins Spiel: dort kann und muss der dringend benötigte Wohnraum - gerade für ältere Menschen - geschaffen werden. 
Das trägt zur Belebung bei, sichert den Menschen den Zugang zu Infrastruktur und Nahversorgung und kann – auch in Kooperation mit den Pflegedienstleistern, den Kirchen oder anderen sozialen Organisationen – einen echten Mehrwert für das Zusammenleben in der jeweiligen Kommune schaffen.
Ältere Menschen können im Alter aus ihren Einfamilienhäusern aus- und in für sie geeignete Wohnungen einziehen, ohne ihr Dorf oder ihr Quartier – und damit ihre vertraute Umgebung und ihr soziales Umfeld - verlassen zu müssen. 
Wichtig werden auch Begegnungsorte für die verschiedenen Altersgruppen. Hier sind leerstehende Ladengeschäfte aber auch Gebäude der Kirchen, die nicht mehr gebraucht werden, geeignet – sie müssen für die neue Nutzung ertüchtigt und modernisiert werden.
An anderer Stelle, nämlich in den Wohngebieten an den Ortsrändern, wird dadurch Wohnraum in den Einfamilienhäusern frei für diejenigen, die sie bereits im Namen tragen, die Familien. 

Ohne Neubau wird es selbstverständlich nicht gehen. Aber: Vorhandene Bausubstanz wird so weiter genutzt, einer unnötigen weiteren Ausdehnung von Neubaugebieten und der damit einhergehenden Versiegelung von Flächen könnte damit Einhalt geboten werden. Nicht jede Generation muss ihre eigenen Einfamilienhaussiedlungen bauen.
Auch der Klimaschutz kommt automatisch ins Spiel. Modernisierte ältere oder neu gebaute Gebäude in den Ortskernen haben eine bessere energetische Bilanz als die alte Bausubstanz. Auch das trägt zur Erreichung der Klimaziele bei. 
Eine solche Entwicklung schafft man allerdings nicht nur mit Best-Practice-Modellen und Leuchtturmprojekten. Was wir wirklich brauchen, sind gezielte, verlässliche und flächendeckende Förderprogramme zur Wohnraumschaffung und Anreize, Wohnraumbedarf und passenden Wohnraum zu matchen.
Solche Förderprogramme aufzusetzen - und zwar systematisch für das ganze Land - mit guten Konditionen und ausreichend Mitteln - das wäre mal eine sinnvolle Aufgabe, der sich das immer noch junge Ministerium für Landesentwicklung und Wohnbau aannehmen könnte!
Modell- und Best-Practice-Beispiele seitenweise aneinanderzureihen ist eine Art, mit der Krise umzugehen. Wir bevorzugen eine systematische und flächendeckende Herangehensweise, die ich eben skizziert habe.

Leerstand bekämpfen
Noch eine Anmerkung zum Thema Leerstand: durch die Wiedervermietungsprämie, von der Sie so ruhmreich berichten, sind im Jahr 2022 ganze 171 Wohnungen wiedervermietet worden. Das ist angesichts der großen Knappheit nicht mal ein Tropfen aus dem heißen Stein. Die anderen Prämienmodelle, die seit geraumer Zeit verkündet werden, sind übrigens bisher nichts als heiße Luft.
Beim Thema Leerstand ist der konstante, sozusagen der „etablierte Leerstand“ das eigentliche Problem: Häuser, die aufgrund von Erbschaftsstreitigkeiten oder aus anderen Gründen über Jahre leer stehen. Wohnungen, die nicht vermietet werden, weil der Aufwand den Eigentümern zu hoch ist oder sie Sorge vor Schwierigkeiten mit den Mieter/innen haben. 
Auch hier braucht es Lösungen. Andere Bundesländer machen es vor: Sanktionen für unbegründeten Leerstand nach sechs Monaten, vor allem dort, wo die Situation am Wohnungsmarkt angespannt ist, das wäre eine sinnvolle Maßnahme. 
Unterstützung beim Vermieten von Wohnungen oder eine stärkere Nutzung der Belegungsrechte – so könnte kurzfristig Wohnraum entstehen, weil es diese Wohnungen ja bereits gibt und sie nicht gebaut werden müssen.

Hilfe für die Kommunen und die Bürger/innen
Ganz wichtig ist, dass es hier Unterstützung gerade für unsere kleineren Kommunen gibt. Diese können sich keinen eigenen Sachbearbeiter leisten, der dauernd auf der Jagd nach Fördergeldern ist. Die Kommunen benötigen - wie auch die Bürgerinnen und Bürger - verlässliche und lang laufende Förderprogramme aus einer Hand.
Und zwar aus einem Ministerium, nämlich ihrem, Frau Ministerin Razavi. Nicht aus zig verschiedenen. 
Und bitte stimmen Sie nicht wieder das alte Klagelied an, was der Bund vorher tun muss, das kann nun wirklich niemand mehr hören. Wir sind der Landtag von Baden-Württemberg und müssen für unsere Kommunen in die Gänge kommen.